Gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung, für die Rettung von Menschenleben!

Appell gegen die Ausweitung von Paragraph 96

Köln, 21.11.2023 – 52 zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland sind über die geplanten Änderungen des Aufenthaltsgesetzes alarmiert, die das Bundesministerium des Innern und für Heimat dem Bundeskabinett vorgelegt hat. Deswegen fordern sie gemeinsam mit SOS Humanity das Bundesinnenministerium auf, eine geänderte Formulierungshilfe vorzulegen, in der die Ausweitung des Paragraphen 96 zurückgenommen wird. Die Kölner Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland unterstützt den Appell und die Seenotrettung.

 „Menschenleben retten ist die Richtlinie unseres humanitären Einsatzes als Hilfsorganisation. Zivile Seenotrettung gehört für uns dazu. Und damit auch der Schutz der Seenotretterinnen und -retter, die mit ihrem Einsatz Leben erhalten. Deswegen stellen wir uns mit der Zivilgesellschaft gemeinsam gegen das beschleunigte Gesetzgebungsverfahren der Bundesregierung, das die strafrechtliche Verfolgung von Seenotretterinnen und Seenotrettern bedeutet. Und wir appellieren: Beziehen Sie die Expertise aus der Zivilgesellschaft mit ein, kriminalisieren sie nicht Menschen, die Leben retten“, sagt Tarek Abdelalem, Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland.

Zwar hat das Bundesinnenministerium klargestellt, dass eine Kriminalisierung der Seenotrettung nicht beabsichtigt sei. Die juristische Einschätzung zeigt jedoch, dass die für eine strafrechtliche Verfolgung ausschlaggebenden Straftatbestände in konkreten Fällen nach dem aktuellen Vorschlag erfüllt sein könnten.  

Deswegen fordert das Bündnis darüber hinaus die Aufnahme einer humanitären Klausel, wie sie in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG vorgesehen ist, um Sanktionen gegen humanitäre Hilfe auszuschließen. Denn die Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) bietet die rechtliche Grundlage, humanitäre Arbeit weiter einzuschränken und humanitäre Helferinnen und Helfer strafrechtlich zu verfolgen.  

Diese Kriminalisierung widerspricht der im Koalitionsvertrag hervorgehobenen Pflicht zur Seenotrettung und Verantwortung, diese nicht zu behindern. Die gemeinsame Stellungnahme ist hier zu lesen.

„Deshalb fordern wir das Bundesinnenministerium auf, dem Bundeskabinett eine geänderte Formulierungshilfe vorzulegen, in der die Ausweitung des Paragraphen 96 zurückgenommen wird. Darüber hinaus fordern wir die Aufnahme einer humanitären Klausel, wie sie in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG vorgesehen ist, um Sanktionen gegen humanitäre Hilfe auszuschließen“, lautet es in der gemeinsamen Erklärung.

Sollte das Innenministerium dem Bundeskabinett keine neue Formulierungshilfe vorschlagen, fordern die Organisationen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, diese Änderungen in einem Antrag aufzugreifen und in den Bundestag einzubringen.  Sie schließen sich der im Rahmen der Verbandsanhörung geäußerten Kritik am beschleunigten Gesetzgebungsverfahren an und appellieren an alle am Gesetzgebungsprozess beteiligten Akteure, die Expertise der Zivilgesellschaft anzuhören und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.  

Mit den geplanten Gesetzesänderungen würde sich Deutschland in eine in Europa zu beobachtende repressive Politik einreihen. „Seenotrettung und humanitäre Hilfe dürfen in und von Deutschland nicht kriminalisiert und behindert werden!“, fordert das Bündnis.

Erläuterung § 96 Abs. 4 AufenthG:

Die Einschleusung in einen anderen Schengen-Staat (§ 96 Abs. 4 AufenthG) bezieht sich bisher nicht auf die uneigennützige Einschleusung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b AufenthG. Nach dem neuen Entwurf soll jedoch auch die Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe gestellt werden, wenn sie „wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ erfolgt. Auf einen Vorteil für die Hilfeleistenden kommt es dann nicht mehr an. Davon betroffen sind potenziell Seenotretter*innen, aber auch andere Menschenrechtsverteidigerinnen  und -verteidiger, humanitäre Organisationen und Geflüchtete selbst.