Deutschlands erstes und ältestes Muslimisches SeelsorgeTelefon feierte gestern 15-jähriges Jubiläum mit Fachtagung und Festakt in Berlin Schöneberg. Vor 15 Jahren gegründet, bietet MuTeS eine wichtige Anlaufstelle für Menschen in Not, die (unabhängig von ihrer Konfession) Unterstützung und ein offenes Ohr suchen. Allein im Jahr 2023 führten die MuTeS Ehrenamtlichen 6.624 Telefonate. Das vielfältige Engagement von MuTeS reicht von der Telefonseelsorge über Gefängnis- und Notfallseelsorge, bis hin zur Fort- und Weiterbildung in vielen Bereichen und intensiver Gremienarbeit.
„Wir sind besonders stolz und dankbar für 15 Jahre MuTeS. Dieses Seelsorge-Telefon steht für das gelungene Zusammenleben und die Integration muslimsicher Menschen in Deutschland. Ich danke unseren Ehrenamtlichen und unseren kirchlichen Kooperationspartnern für ihr Engagement und ihren Einsatz. Ohne sie würde es das Muslimische SeelsorgeTelefon nicht geben, das so vielen Menschen in ihrer Not zur Seite steht. Auf viele weitere Jahre gute Zusammenarbeit“, sagt Tarek Abdelalem, Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland, zum Jubiläum.
15 Jahre MuTeS – ein wichtiger Meilenstein für die interreligiöse Zusammenarbeit in Deutschland
Im Laufe der Jahre hat sich MuTeS zu einer unverzichtbaren Anlaufstelle entwickelt. M. Imran Sagir, Geschäftsführer und selbst Seelsorger, dankt besonders den ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnen und -seelsorgern: „Dank des unermüdlichen Engagements unseres Teams konnten wir Menschen in schwierigen Zeiten beistehen. Mein Dank gilt daher besonders unseren ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnen und -seelsorgern. Sie sind es, die Menschen anonym und vertraulich zuhören und in Momenten großer Not zur Seite stehen. Unser 15-jähriges Bestehen ist nicht nur ein Erfolg für die muslimische Seelsorge, sondern auch ein Meilenstein für die interkulturelle und interreligiöse Zusammenarbeit in Deutschland.“
Das Jubiläum wurde begleitet von einer vierstündigen Fachtagung zum Thema „Kooperation Christentum & Islam in der Seelsorge“. Bei der Podiumsdiskussion tauschten sich Akteure der Berliner Seelsorge über die Erfahrungen der letzten 15 Jahre aus. „Begegnung und Miteinander lernen, das war das Allerschönste“, sagt Uwe Müller, Leiter der Kirchlichen TelefonSeelsorge Berlin, zurückblickend.
Vertrauen schaffen und Begegnung fördern durch Kooperation: „Vertrauen ist die Quintessenz“
Auch vom Abbau von Vorurteilen und von der einzigartigen Begegnung, die bei MuTeS durch die gemeinsame Ausbildung der Seelsorger stattfindet, berichtet Uwe Müller auf der Podiumsdiskussion. „Ich hätte nie so einen intensiven Kontakt zu einem Muslim entwickeln können, weil sie in meinem Leben gar nicht so vorkommen“, habe ihm einer der Mentoren der Ausbildung erzählt. „Unsere Mentoren und Mentorinnen wollen diese Erfahrung nicht mehr missen. Da passiert also etwas“, sagt Müller.
„Es wurde eine wichtige Vorarbeit geleistet. Der Abbau von Misstrauen und der Aufbau von Toleranz", fügt Edouard Marry, Psychologe hinzu, als er zu Wort kommt. Sich für Seelsorge und muslimische Seelsorge einzusetzen, war für Marry, einen ägyptischen Christen „als würde sich der Kreis meines Lebens schließen. Ich war sofort dabei.“
Bei der Podiumsdiskussion auf der Fachtagung waren sich alle Sprecherinnen und Sprecher einig, dass trotz aller anfänglichen Hürden bei der Gründung von MuTeS, seien sie formaler oder kultureller Art, die Gemeinsamkeiten überwiegen. „Vertrauen ist die Quintessenz unserer Zusammenarbeit“, sagt Imran Sagir, denn ohne den Aufbau von Vertrauen und die enge Zusammenarbeit sei dieser Meilenstein nicht möglich gewesen.
Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Einsamkeit weniger präsent, aber die Sorgen sind gleich – „Die Gemeinsamkeiten sind weitaus mehr“
Für Sagir, der selbst Telefonseelsorger und Gefängnisseelsorger ist, ist das Besondere an MuTeS auch nach 15 Jahren der „Vertrauensvorschuss, den die Leute einem geben, ohne sich im Erklärungsmodus zu befinden.“ Die zwischenmenschlichen Beziehungen stünden im Vordergrund bei den Anrufern des MuTeS, Einsamkeit sei nicht so stark Thema, wie bei den Partner-Seelsorgen. „Das ist der drastische Unterschied. Es gibt jetzt nach 15 Jahren manchmal das Thema Einsamkeit bei den Anrufen. Religion ist auch oft ein Thema, aber bei Theologie, da müssen wir die Leute dann an andere Stellen verweisen.“
Obwohl insbesondere das Thema Einsamkeit bei den Anrufen von MuTeS weniger präsent sei, als bei den anderen Seelsorge-Telefonen, seien die Sorgen der Menschen doch überwiegend die gleichen. „Nach 15 Jahren in der Seelsorge kann ich sagen: Die Gemeinsamkeiten sind weitaus mehr als die Unterschiede“, sagt Sagir.
Fachtagung und Diskurs: Anthropologische Perspektive in der muslimischen Seelsorge forcieren
In ihrer Keynote plädierte Prof. Dr. Tuba Işık für die anthropologische Perspektive, in der die Seelsorge individualisiert wird. Sie berichtet später in der Fragerunde von einer persönlichen Begegnung mit einer trauernden Person und sagt, „dass das Theologische nicht immer“ greife. Sie spricht sich daher klar für eine angemessene Beziehungsgestaltung in der Telefon-Seelsorge und eine anthropologische Perspektive aus.
Für den Religionspsychologen Prof. Dr. Michael Utsch hingegen geht es in der Seelsorge besonders um die Förderung der Gottesbeziehung. Er spricht sich insbesondere für die Stärkung der ambulanten Seelsorge aus. Kirchlich christliche Seelsorge könne mit Blick auf MuTeS wichtige Impulse vermitteln, aber auch selbst dazulernen. Sagir selbst betont als Geschäftsführer in der Runde, dass der religiöse Rahmen zwar gegeben ist, aber die Seelsorgenden Religion nur zum Thema machen, wenn sie denn tatsächlich eine Kraftquelle für Anruferinnen und -anrufer sein kann. Er sagt:
„Unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger sagen auch „Muslimisches SeelsorgeTelefon“ als Gruß am Hörer und nicht beispielsweise ,Salam‘, damit sich erstmal jede Person willkommen fühlt.“
Festakt: Politikerinnen und Politiker fordern die Fortführung der Finanzierung von MuTeS
Beim anschließenden Festakt waren dann die Vizepräsidentin des Bundestages Frau Dr. Aydan Özoğuz, Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, Caritasdirektorin Prof. Dr. Ulrike Kostka, Diakonievertreter Konrad Müller und weitere Gäste geladen. Sie alle sprachen Grußworte und bestärkten ihr Engagement für MuTeS.
Aydan Özoğuz betonte in ihrem Grußwort die Wichtigkeit des Zusammenhalts in Zeiten der „Kälte“, in der „wir alle schon viel kämpfen müssen“. Umso wichtiger seien interkulturelle Projekte wie das MuTeS für das Miteinander in Deutschland, die u.a. muslimischen Menschen einen Halt bieten. Abschließend forderte Özoğuz eindringlich die Fortführung der Finanzierung von MuTeS durch den Senat, um das wichtige Angebot der Seelsorge am Leben zu erhalten.
Die Abgeordneten Dr. Susanna Kahlefeld (Die Grünen) und Orkan Özdemir (SPD) schlossen sich in ihren Grußworten Özoğuz an und betonten die Notwendigkeit der Arbeit von MuTeS für Berlin ebenso wie der Fortführung einer öffentlichen Finanzierung durch das Land Berlin, die zurzeit bedauerlicherweise in der Schwebe ist.
„Bei MuTeS rufen nicht nur Menschen aus Berlin an, sondern aus ganz Deutschland. Es braucht nicht weniger MuTeS, sondern ganz viel MuteS, nämlich ganz viel Mut!“ sagte Frau Dr. Kostka und erntete lauten Beifall.
MuTeS als Ausbilder in der Telefonseelsorge: 230 Absolventinnen und Absolventen
Als Ausbilder in der Seelsorge schaut MuTeS in diesem Jahr zudem stolz auf insgesamt 16 Ausbildungskurse mit 230 Absolventinnen und Absolventen zurück, die als ehrenamtliche Telefonseelsorgerinnen- und Seelsorger für das MuTeS qualifiziert wurden. Zurzeit sind 61 Telefon-Seelsorgerinnen und -Seelsorger aktiv, während 17 Personen aufgrund verschiedener Umstände (Krankheit, Mutterschaft) pausieren.
Daten und Statistik zu MuTeS
- Seit dem Start am 1. Mai 2009 haben über 76.000 (76.272) Anruferinnen und Anrufer MuTeS erreicht.
- Weitere Themen sind u.a. Gewalt, Sexualität, Suizid, Arbeit, Schwangerschaft, Sucht, Schule, Geld, Freunde, Freizeit, Gesellschaft.
- Das Dienstangebot: Seit dem 01.März 2013 bietet MuTeS eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft für Anrufe an.
Preise
MuTeS ist u.a. Preisträger des Sonderpreises der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, des Preises für Zivilcourage vom Bündnis für Demokratie und Toleranz, des Publikumspreises „Aspirin Sozialpreis“ und der Berliner Tulpe.
Allgemeine Informationen für Redaktionen:
Das 2009 von Islamic Relief Deutschland gegründete Muslimische SeelsorgeTelefon (MuTeS) ist das erste Projekt dieser Art in Deutschland. Es steht allen Menschen in Notsituationen offen, unabhängig von ihrer Religion oder Herkunft. In Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und dem Caritasverband im Erzbistum Berlin engagieren sich aktuell 61 ehrenamtliche Seelsorger*innen im Schichtbetrieb, um Hilfesuchenden Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen.
Weitere Informationen gibt es unter: