Ein Festessen für Waisen mit Christian Wulff

Familie Varol lud anlässlich "Speisen für Waisen" zur Begegnung ein

Ruhig und gelassen betritt er das Haus der Familie Varol in Hannover. Er zieht sich die Schuhe aus und geht dann in die Küche, um die Familie zu begrüßen. Der Dame des Hauses, Meriyem Varol, drückt er einen prächtigen Blumenstrauß in die Hand, mit den Jungen Malik und Mücahit unterhält er sich leise, kaum hörbar, über die Schule und was sie sonst noch so machen. Dann geht er ins Wohnzimmer, wo eine reich gedeckte Tafel auf ihn wartet. Es ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.

Eingeladen hatte Familie Varol ihn zusammen mit Tarek Abdelalem, Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland, der befreundeten Familie Köster, dem Leiter der palästinensischen Gemeinde in Hannover Yazid Shammout und dem jungen türkischen Ehepaar Karagöl am Montag, dem 12.01.2015, anlässlich des Aktionsmonats „Speisen für Waisen“ von Islamic Relief. Bei dieser Aktion geht es darum, Muslime wie Nichtmuslime an einen Tisch zu bringen, gemeinsam zu essen, so ganz nebenbei Ressentiments abzubauen und schließlich zu spenden, in diesem Jahr für traumatisierte Kinder in Gaza.

Aber Herr Wulff hat keine Ressentiments. Er kennt schon lange Muslime – noch aus seiner Zeit in Osnabrück. Dort hat er regelmäßig und ganz selbstverständlich türkische Freunde getroffen und konnte alle Fragen stellen. Dass Muslime zu Deutschland gehören – ob das immer noch gelte, fragt jemand und nimmt Bezug auf Wulffs Aussage aus dem Jahr 2010. Der nickt energisch mit dem Kopf. „Ja, ich bleibe dabei. Gerade wegen der Wirrnisse und Verirrnisse unserer Vergangenheit sind wir zu Toleranz verpflichtet. Wir leben hier in der Bunten Republik Deutschland.“

Mit dem Ehepaar Köster reisten die Gastgeber vor einigen Jahren in die Türkei. Am Tisch schwelgen sie in Erinnerungen, während sie gefüllte Weinblätter und Auberginen mit Reis und Lammkoteletts genießen. Es geht auch um Muslime im öffentlichen Dienst, Schwimm- und Religionsunterricht in der Schule, Heiratskandidaten und deutsche Autos. Die Atmosphäre ist ruhig, wohlgesonnen. Auch, als Frau Köster ihr Unverständnis darüber äußert, dass Muslime während des Fastens im Ramadan nicht einmal Wasser trinken dürfen. Es bleibe dennoch dabei, sagt Yazid Shammout.

Er betont: „Der Dialog ist eine keine Einbahn-, sondern eine Zweibahnstraße.“ Tarek Abdelalem ergänzt: „Beide Seiten – sowohl Muslime als auch Nichtmuslime – sollten an einem friedvollen Miteinander arbeiten“, und Aris Karagöl pflichtet ihnen bei: „Ich gehöre zu Deutschland – wir gehören zu Deutschland.“

Das belege auch die aktuelle Bertelsmann-Studie, von der Christan Wulff berichtet: „Dort ist belegt, dass jüngere Menschen einen sehr gemischten Freundeskreis haben.“

Dass von Muslimen nun verlangt wird, sich vom Anschlag auf die Mitarbeiter der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris zu distanzieren, sieht Herr Wulff kritisch. „Gerade während dieses gemeinsamen Essens dürfte klargeworden sein: Wir alle sind erschüttert über die Geschehnisse in Paris. Aber ich muss mich auch nicht von den Kreuzzügen distanzieren.“ Meinungs- wie auch Religionsfreiheit seien für ihn zwei unumstößliche Grundwerte. „Stehen wir zusammen gegen die, die all das zerstören wollen.“

Schließlich fragt er in die Runde: „Hat der Islam es nicht verdient, positiv wahrgenommen zu werden?“, Dass die Aktion „Speisen für Waisen“ dazu beiträgt, daran hat er keinen Zweifel – erst recht nicht nach diesem herzlichen Empfang und dem leckeren türkischen Essen.