Der Krieg im Norden Äthiopiens ist Ende 2020 in Tigray ausgebrochen und griff dann auf die Regionen Afar und Amhara über. Mehr als 2,6 Millionen Menschen sind aus ihren Häusern geflohen. Im April wurde ein vorübergehender Waffenstillstand verkündet, damit humanitäre Hilfe in die betroffenen Gebiete gelangen kann, doch die Vereinten Nationen (UN) haben davor gewarnt, dass dies nicht ausreichen wird. Die humanitäre Hilfe in Äthiopien ist völlig unterfinanziert, und drei aufeinanderfolgende Regenfälle, die ausblieben, haben in der Region die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten verursacht, die die Ernten und das Vieh, von denen die Menschen abhängig sind, vernichtet hat.
Die 22-jährige Hanan (Name von der Redaktion zum Schutz ihrer Identität geändert) kam im April in einem der Lager für Vertriebene an. Sie erzählte dem Team von Islamic Relief, wie sie und ihr Bruder vor den schweren Kämpfen in ihrer Heimatstadt in Nord-Afar geflohen sind:
„Mütter und Kinder wurden getrennt, als wir voller Angst flohen. Später gelang es ihnen, sich in den Bergen wiederzufinden. Wir waren über zwei Monate lang in den Bergen. Dort haben wir viel Leid gesehen. Alles, was wir hatten, waren unsere Tiere, die wir schlachteten, um zu überleben. Meine Mutter und mein Vater wurden von bewaffneten Männern verschleppt. Wir wissen nicht, wohin sie sie gebracht haben und warum.“
„Wir waren acht Tage und acht Nächte lang ohne Essen unterwegs. Viele kleine Kinder starben auf dem Weg wegen der Hitze und dem Mangel an Wasser. Wir hatten keinen Platz zum Schlafen, also kamen wir hierher (in das Lager).“
„Vor einem Jahr habe ich noch studiert und stand kurz vor dem Abschluss in der Universität. Jetzt bete ich um Hilfe, damit wir aus dieser miserablen Situation herauskommen.“
Trotz des Waffenstillstands ist es weiterhin zu Zusammenstößen gekommen, und es fliehen weiterhin Menschen in die Lager.
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Die Lage vor Ort
Fekadu Mandefro, Kommunikationskoordinator von Islamic Relief in Äthiopien, besuchte kürzlich das Lager Silisa in der Region Afar als Teil eines Teams, das Lebensmittel, Unterkünfte und sauberes Wasser an Tausende von Neuankömmlingen verteilt. Er berichtet von der Lage vor Ort:
„Die Hitze war groß, und der Wind war so stark, dass er uns Sand und Staub ins Gesicht peitschte. Es war schwierig, zu atmen, geschweige denn zu arbeiten. Das Lager ist überfüllt mit Menschen, die ums Überleben kämpfen und kaum oder gar keine Nahrungsmittel oder Zugang zu sauberem Wasser und Toiletten haben. Viele Menschen leben unter freiem Himmel oder in dürftigen Unterkünften und sind den harschen Elementen ausgesetzt. Sie sind um ihr Leben geflohen und leben nun unter entsetzlichen Umständen, traumatisiert von der Gewalt und dem Hunger, den sie erlebt haben."
Eine andere junge Frau, Asiya, kam mit ihren drei Kindern im Lager Silisa an. Sie waren 14 Tage lang zu Fuß unterwegs, um das Lager zu erreichen, eine anstrengende und gefährliche Reise mit wenig Nahrung und Wasser. Sie sagt:
„Schwere Artillerie wurde in der Nähe unserer Häuser abgefeuert und als die Kämpfe näherkamen, ließen wir alles hinter uns und flohen. Diejenigen, die mit mir geflohen sind, sind diejenigen, die stark und gesund genug sind, um lange Strecken zu Fuß zurückzulegen.“
„Die Schwachen und Älteren, die nicht mehr laufen können, sind gestrandet. Einige meiner Verwandten wurden zurückgelassen, weil sie nicht fliehen konnten. Mein Mann ist immer noch dort.“
Langfristige Unterstützung wird benötigt
Islamic Relief hat mehr als 43.000 Menschen wie Asiya und Hanan, die vor dem Konflikt in Afar geflohen sind, mit Nahrungsmitteln wie Weizenmehl, Linsen und Öl sowie mit sauberem Wasser, Unterkünften und anderen lebenswichtigen Hilfsgütern versorgt.
Es wird jedoch noch viel mehr Hilfe benötigt. Aufgrund der Dürre und des Verlusts von Lebensgrundlagen nimmt der Hunger zu und lebenswichtige Infrastruktur wie Wasserstellen, Gesundheitszentren und Schulen wurden durch den Konflikt zerstört.
Islamic Relief appelliert an alle Konfliktparteien, sich weiterhin an die Waffenruhe zu halten, sich für die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität einzusetzen und den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in alle betroffenen Gebiete zu gewährleisten. Die Hilfsorganisation appelliert ebenso an die internationalen Geber, den humanitären Hilfsplan in Äthiopien vollständig zu finanzieren.
Mehr als 9 Millionen Menschen in den Regionen Tigray, Afar und Amhara sind nach Angaben der UN auf Nahrungsmittel- und andere lebenswichtige Hilfe angewiesen.